www.bankgesellschaft.de

www.parlament-berlin.de

www.charite.de

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Pressemitteilung
Berlin, den 26.06.2002

Sehr geehrte Damen und Herren,

Heute um 12 Uhr beginnt die Kunstaktion
initiiert vom Rat für die Künste
BLUTBANK -
Benefiz für die Berliner Bankgesellschaft.
Pressegespräch 27. Juni 11.30h, Martin-Gropius-Bau, Atrium
Es sprechen:
Prof. Dr.Dr. Holger Kiesewetter über den Blutkreislauf
Mark Siemons FAZ über gesellschaftliche
Stoffwechselprozesse und die Rettung der Wirtschaft
durch die Kultur.
Berliner Künstler und Kulturschaffende spenden in
Kooperation mit dem Institut für Transfusionsmedizin
der Charité ihr Blut zur Sanierung der Bankgesellschaft
Berlin.

ERSTE HILFE IN SCHWERER ZEIT!

Ein gemeinsame Aktion, ein kollektives Ereignis mit vielen Bekannten.

Eine Veranstaltung des Rat für die Künste in Berlin
Künstlerische Leitung: Roland Brus, Detlev Schneider

Über eine ausführliche Berichterstattung würden wir uns
freuen.

Mit freundlichen Grüßen,
Amelie Deuflhard

Informationen:

mobil: 0177 717 4877 (Detlev Schneider)
mobil: 0174 312 7074 (Roland Brus)
Tel.: 030 285 99 360 (sophiensæle)
deuflhard@sophiensaele.com  

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Pressemitteilung
Berlin, den 5. Juni 2002

BLUTBANK gründet BLUTBANK Stiftung

109 Blutkonserven entstanden während der Aktion BLUTBANK.

"Erste Hilfe in schwerer Zeit" wollten am 27. Juni 2002 im Martin-Gropius-Bau mehrere Hundert Berliner Kunstschaffende leisten, die sich als Blut- und Trostspender zu einer bislang einzigartigen Geste des Gebens zusammenfanden.

Zeitgleich zur Haushaltsdebatte im Abgeordnetenhaus gegenüber ließen sie sich zur Ader. Das Blut kommt dem Institut für Transfusionsmedizin der Charité zu Gute.
Ihre Aufwandsentschädigungen in Höhe von 2180 Euro spenden die Kunstschaffenden zur Sanierung der Bankgesellschaft Berlin.

Die Spende wurde abgelehnt.
Der Vorstandsvorsitzende schrieb, die Bankgesellschaft plane, "die Sanierung jetzt aus eigener Kraft zu meistern". "Sachkostensenkungen und der Beitrag der Mitarbeiter, die auf soziale Leistungen verzichten und Gehaltsabschläge in Kauf nehmen, werden uns helfen, dieses Ziel zu erreichen."

Dazu kein Kommentar.

Nunmehr muss der Auftrag der Spender auf andere Weise erfüllt werden.
Dazu haben die BLUTBANK-Kuratoren, die Berliner Künstler Roland Brus und
Detlev Schneider eine Gesellschaft gegründet, - im Einvernehmen mit dem Rat für die Künste in Berlin.
Das Geld wird auf einem verzinsten Konto bei der Landesbank Berlin angelegt.

Nächster Schritt ist die Gründung einer BLUTBANK Stiftung.
Stiftungszweck ist die Förderung der Wirtschaft mit künstlerischen Massnahmen.
Natürlich will die BLUTBANK Stiftung weiterhin zur Sanierung der Bankgesellschaft Berlin beitragen.

Roland Brus Detlev Schneider

Weitere Informationen finden Sie unter www.blutbank-benefiz.de

Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Roland Brus 030/ 4428659 0174/ 3127074
Detlev Schneider 030/ 28047415 0177/ 7174877

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Berliner Morgenpost, 21.06.02

Die Kultur muss bluten für die Bankgesellschaft
Von Hergen Kicker

Dass Blut ein ganz besonderer Saft ist, wusste schon Mephisto. Und weil es bei dem als Haushaltslesung getarnten Aderlass im Abgeordnetenhaus nächsten Donnerstag um den Lebenssaft der Berliner Kultur geht, verwundert es kaum, dass der Rat der Künste keine andere Möglichkeit sieht, als mit dem Teufel einen Pakt zu schließen.

In Berlin heißt der nicht Mephisto, sondern Bankgesellschaft; und so listig und lustig wie Goethes schwarzer Geselle ist er leider nicht. Aber Armut bringt die seltsamsten Freundschaften hervor: Weil die Not leidende Bankgesellschaft die Wurzel des Berliner Übels ist, haben sich die Kulturschaffenden zu einer großmütigen Geste entschlossen: Während drinnen die kulturelle Unterfinanzierung Gesetz wird, spenden sie draußen vor dem Abgeordnetenhaus Blut für die Bankgesellschaft.

Selbst solche, die wie Joachim Sartorius den Berliner Haushaltslöchern glücklich entronnen sind, seit der Bund die Berliner Festspiele finanziert: «Mein Termin ist um 12.30 Uhr», erklärt der Kulturmananger und Lyriker solidarisch. «Die Bankgesellschaft hat die Berliner Kultur als Geisel genommen. Die Blutspende ist eine paradoxe Umkehr der tatsächlichen Verhältnisse. Das gefällt mir.» Ähnlich sieht es die Intendantin der Sophiensaele, Amelie Deuflhard. Sie hat im Rat der Künste die Aktion mitgeplant: «Es war eine Idee, die aus der Ohnmacht geboren wurde», sagt sie. «Seit Jahren sind wir durch die Kürzungen in eine passive Rolle gedrängt. Also drehen wir den Spieß um und besinnen uns auf das, was wir am besten können: eine ironische Kunstaktion.»

Herbert Wiesner vom Literaturhaus wird drinnen und draußen zur Ader gelassen: 25 000 Euro muss sein Haus ab nächstem Jahr einsparen. Da kommt es auf einen halben Liter Blut für die Bankgesellschaft auch nicht mehr an. «Es ist ein Skandal, die ganze Stadt zum Bürgen für die Bankgesellschaft zu machen.»

Viele weitere Kulturmacher von Nele Hertling (Hebbel Theater) über Bernd Wilms (Deutsches Theater) bis zu Jürgen Schitthelm (Schaubühne) und Hermann Beil (Berliner Ensemble) haben bereits ihre Teilnahme fest zugesagt: entweder als Blut-, Trost- oder Geldspender. Aufhalten wird man den Lauf der Dinge wohl nicht, aber Frank Schneider, der Intendant des Konzerthauses Berlin, hofft wenigstens zu zeigen, «dass die misslichen Entscheidungen der Verantwortlichen für das Desaster der Bankgesellschaft nicht einfach hingenommen werden können.»

Das Konzept ist allerdings noch ausbaufähig: Wer für seine Spende etwas theatralische Nachhilfe braucht, könnte sich dann beispielsweise von blutrünstigen Experten wie Titus Andronicus (Hans Michael Rehberg), Richard II. (Michael Maertens) oder Macbeth (André Szymanski) beraten lassen.

Ob zwei der bekanntesten Berliner Künstler, die Jongleure Klaus Landowsky und Wolfgang Rupf Blut, Trost oder von ihren üppigen Bezügen gar Geld spenden wollen, war bis Redaktionsschluss nicht in Erfahrung zu bringen. Ansonsten gibt sich die Kultur solidarisch wie selten. Ein kurzes Ausscheren wie bei Wiesner («Bei uns spart man eh nur Kleckerbeträge. Eigentlich müsste man über eine Oper nachdenken») fällt da nicht weiter ins Gewicht. Wer hätte gedacht, dass in der Kultur noch so viel Blut steckt.

www.blutbank-benefiz.de

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Tagesspiegel, 27.6.02

Berliner spenden Blut für Bankgesellschaft
Berliner Prominente wollen heute Mittag vor dem
Abgeordnetenhaus zu Beginn der Haushaltsberatungen
Blut für die Bankgesellschaft Berlin spenden: „Wir wollen
die Schmerzen mit ihr teilen.“ Volker Ludwig (Grips),
Jürgen Schitthelm und Thomas Ostermeier
(Schaubühne), Bernd Wilms (Deutsches Theater),
Nele Hertling (Hebbel-Theater), Joachim Sartorius
(Berliner Festspiele) und die frühere Kultursenatorin
Adrienne Goehler haben Blut zugesagt.dpa

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Berliner Zeitung, 27.06.02

TAGEBUCH

Anamnese und Aderlass
Carmen Böker

Haben Sie das 18. Lebensjahr vollendet und das 68. noch nicht überschritten und wiegen Sie mindestens
50 Kilogramm? Haben Sie gestern Abend fettreiche Speisen weitestgehend gemieden und dem Alkohol vollständig entsagt? Die Autorin muss an dieser Stelle zugeben, nicht in allen Punkten mit "Ja" antworten zu können, sie wird aber auch aus anderen Gründen heute nicht beim großen Blutspende-Happening (siehe www.blutbank-benefiz.de) im Martin-Gropius-Bau zugegen sein - weil ihr Hausarzt nach leidvollen Erfahrungen auf ihrer Karteikarte vermerkt hat: "Achtung bei Blutabnahme, Patientin wird ohnmächtig."
Wie jäh die Sinne schwinden und die Nachbarin um das Riechfläschchen gebeten werden muss - das wäre als Geste vielleicht zu etepetetistisch, zu sehr samtgedämpfter Salon des 19. Jahrhunderts in dieser krisengebeutelten Zeit, die dem Schmerz heroisch begegnende Aktionen von uns allen verlangt. So sieht es jedenfalls der Rat der Künste, der nicht länger nur in wohl gesetzten Worten warnen will: Er ruft "alle Berliner Kunstschaffenden" auf, heute zwischen 12 und 17 Uhr
ihr Blut für die Charité zu spenden - auf dass unter der Supervision von Prof. Dr. Dr. Holger Kiesewetter, dem
Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin, die Bankgesellschaft Berlin von ihrer schweren Anämie genese. Der Zusammenhang mag unklar sein, er erschließt sich aber aus dem Offenen Brief des Rates, der die Sparzwänge des Senats zurückführt auf dessen wohlfeile Begründung, anders als mit Kulturopfern sei die Bankgesellschaft Berlin nicht zu retten.

Während heute und morgen die Abgeordneten im
Preußischen Landtag den Haushalt 2002/2003 verabschieden, werden am Donnerstag gegenüber im Martin-Gropius-Bau an zehn mobilen Blutspende-Plätzen Venenpunktionen durchgeführt und Kanülen angelegt. Jürgen Schitthelm von der Schaubühne und Bernd Wilms vom Deutschen Theater und Carl Hegemann von der Volksbühne haben schon versprochen, dem rot-roten Senat farblich korrekt entgegen zu spenden. Wenn die alle mitmachen, dann wird sich wohl auch Claus Peymann vom Berliner Ensemble noch zum Aderlass entscheiden.

Man darf sich freuen auf herrliche Fernsehbilder ermattet
daliegender Kulturschaffender. Rund 70 haben bereits
fest zugesagt, mit ihrer Opferbereitschaft darf gerechnet werden; denn die übliche Aufwandsentschädigung von
20 Euro pro Spender soll ausnahmslos der Sanierung
der Bankgesellschaft Berlin zugeführt werden. So werden also diejenigen bluten, die ohnehin schon bluten müssen - selig im Geben, was dann ja auch wieder für ein späteres Nehmen qualifiziert.

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taz, 27.6.02

Blutopfer für die Politik

Keine Pose des Forderns, sondern eine Geste des Gebens soll es sein: das Benefiz-Blutspenden für die Bankgesellschaft Berlin. Oder: der angekündigte Versuch, die Wirtschaft durch die Kultur zu retten
von ADRIENNE WOLTERSDORF
Während hüben die Zahlen rollen, fließt drüben Blut. Heute wollen die Parlamentarier von Regierung und Opposition im Abgeordnetenhaus um den löchrigen Berliner Haushalt streiten. Gegenüber, im Martin-Gropius-Bau, wollen Kunstschaffende ein Blutopfer darbringen. Hüben wird etwas weggenommen, drüben wird es wieder in den Kreislauf hineingegeben. "Einen medizinisch-politischen Vorgang" nennt es Roland Brus, Regisseur und bildender Künstler. Gemeinsam mit dem performativen Künstler Detlev Schneider kam Brus beim Kaffeetrinken auf die Idee, den offensichtlich gestörten Berliner "Stoffwechsel" durch Frischkulturzufuhr zu kurieren. "Erste Hilfe in schwerer Zeit" wollen die beiden nun gemeinsam mit dem "Rat für die Künste in Berlin" und der Charité leisten. Und zwar ausgerechnet der angeschlagenen Bankgesellschaft.
Deren "desaströser Zustand" werde den Kunstschaffenden der Stadt als Grund genannt, warum man sie zu "schmerzhaften Sparzwängen" nötige. Ebendiese Schmerzen wolle man mit den Politikern und Verwaltern des Elends teilen, sagen die Kuratoren. Um dem Ganzen die zweifelsfrei ironische Spitze zu nehmen, verweisen die medizinisch-politischen Akteure auf den kleinen Unterschied. Ihre Aktion sei "auf gar keinen Fall Protest". Kein Echauffieren über die Finanznot und die ungerechte Haftbarmachung der gesamten Stadt für die Fehler der Vergangenheit. Die Aktion sei lediglich "politische Anamnese". Zudem keine Pose des Jammerns und Forderns, sondern eine des Gebens.
In der Tat, es wird unübersehbar sein, dass die vorbeischauende Öffentlichkeit im Atrium des Jugendstilbaus pure Eigenressourcen spendet. Und zwar in Form von Blut oder Trost. An zehn mobilen Blutspendestationen kann der Lebenssaft abgelassen werden. Betreut werden die Spender von professionellen Transfusionsmedizinern der Charité. Deren Chef, Prof. Holger Kiesewetter, wird zum Auftakt einen Vortrag über den Kreislauf von Blut an sich halten, also Teil der Kunst werden.
Wie Roland Brus berichtet, war die Charité spontan von der Sinnhaftigkeit der Idee überzeugt. Denn bei der heutigen Aktion erhält das Krankenhaus dringend benötigte Blutkonserven und die Bank dringend benötigtes Kapital. Weniger einleuchtend fand das Rote Kreuz den beiderseitigen Rettungsgedanken. Als die Initiatoren anfragten, hieß es, die Organisation, die im Krieg stets die Verwundeten versorgt, tue sich schwer mit Blut und Politik.
Wer heute für die Bankgesellschaft kein Blut vergießen möchte, kann auch als Trostspender bei den Angezapften verweilen. Für die eine oder andere Spendenform haben sich schon über 100 Personen angemeldet: Schüler aus Ahrensfelde, Exkultursenatorin Adrienne Goehler, der Maler Johannes Heisig, Theatermacher Thomas Ostermeier und zahlreiche Normalspender. Ob die Bank die 20 Euro je Blutspende als Kapitalspritze zur Revitalisierung annimmt, war bis Redaktionsschluss noch nicht geklärt.
ADRIENNE WOLTERSDORF

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FAZ, 28.6.02

Mark Siemons
Wie die Kultur jetzt die Wirtschaft rettet

Eine Erklärung zum gestrigen Blutspendedienst
der Berliner Kunstwelt

Wenn man danach geht, wie die "Kultur" heute in der öffentlichen Diskussion vorkommt, gewinnt man von ihr einen eigentümlichen Eindruck. "Kultur" scheint da definiert zu sein als das, was öffentliches Geld erhält - oder nicht erhält. Der permanente Kampf der Kultur, an dem das Publikum Anteil nimmt, ist der Kampf ums öffentliche Geld. Natürlich weiß man schon, daß es bei der Kultur um Theater, Kunst und ähnliche Dinge geht, und all dies erfreut sich ja auch allgemeiner Wertschätzung. Doch sobald es ernst wird, sobald einmal definitiv darüber entschieden werden muß, was sich ein Gemeinwesen leisten will und was nicht, stellt sich die wahre Rangordnung heraus: "Kultur" ist eine bloße Funktion, ein Anhängsel jener Sphären, die reale Werte erwirtschaften. Dort findet das eigentliche Leben statt. Je dringlicher die Kultur mit Verweis auf ihre überragende Bedeutung und Notwendigkeit öffentliches Geld einklagt, bei anonymen, abstrakten, ihr selbst undurchschaubaren Mächten, desto zwingender gibt sie damit in Wahrheit ihre Abhängigkeit und Zweitrangigkeit zu erkennen. Als erste Wirklichkeit akzeptiert auch sie das Abstraktum "Wirtschaft". Der entscheidende Indikator für "Realität" ist das Geld. Eine Institution der Kultur darf als um so wichtiger und kulturell wertvoller gelten, je mehr Geld sie kassiert. Die "Kultur" versteht sich selbst als bloßen Überbau, als Virtualität, um nicht zu sagen: Sahnehaube - letztlich pure Ideologie, Unwirklichkeit.

Diese allgemein übliche, selten freilich eingestandene Perspektive stellt die Dinge auf den Kopf. Aus ethnologischer Sicht ist die Kultur ja keineswegs ein Subsystem der Wirtschaft, sondern im Gegenteil gehört die Art und Weise des Wirtschaftens zur spezifischen "Kultur" einer Gesellschaft. Was eine Horde, einen Stamm, eine Stadt oder einen Staat ausmacht, ist deren Fähigkeit, die Voraussetzungen fürs Überleben zu schaffen - und dabei ist es unentscheidbar wie die Frage nach der Henne und dem Ei, was zuerst kommt: die unmittelbare Nahrungssuche oder das Bild, das der Mensch in den jeweiligen Konstellationen von sich entwirft und in seinen Schöpfungen bannt. Beides bedingt sich gegenseitig. Kultur, Wirtschaft, Stadt, Politik und Öffentlichkeit bilden erst zusammen eine Wirklichkeit. Zum Existenzkampf gehört die Kultur seit Urzeiten nicht weniger als Jagd und Ackerbau.

Nur scheint sie das selber vergessen zu haben. Dem Ökonomismus der heutigen Zeit, den kulturelle Kreise so gern beklagen, entspricht der Kulturalismus: die Selbstgenügsamkeit eines Erlebnis- und Produktions-Milieus, das sich seiner Abhängigkeit vom ökonomischen Sektor unklar bewußt ist, ohne diese in irgendeiner Weise zu reflektieren und in die eigenen Arbeiten einfließen zu lassen. Mit Geld und den gewöhnlichen Existenzkämpfen der außer-kulturellen Welt will dieses Milieu möglichst wenig zu tun haben. Es gibt diese Abschottung gern als Widerstand aus, als Unbestechlichkeit gegenüber den Versuchungen der Affirmation, als Gebot moralischer Lauterkeit gar angesichts der Gefahren instrumentalisierender Fremdbestimmung. Tatsächlich gehen die bisher bekannten Verflechtungsversuche von Wirtschaft und Kultur meist von Wirtschaftsvertretern aus und bestätigen dabei das vertraute Gefälle von erster und zweiter Wirklichkeit. Am unverhohlensten ist das bei dem Versuch der Fall, der Kultur immerhin als "Wirtschaftsfaktor" eine Bedeutung beizumessen, die sie von sich aus offenbar nicht hat. Doch auch die gönnerhafte Rede von der Kultur als "Kompensation" der kalten Wirtschaftswelt sieht diese als bloße Funktion, als therapeutische Unterabteilung eines im Kern ökonomischen Betriebs. Ähnlich dient das Kultur-Sponsoring der gesellschaftlichen Legitimierung von Unternehmen. Gerade indem die Kultur vorgibt, sich diesem Spiel soweit als möglich zu verweigern, läßt sie sich auf es ein, da sie keinen eigenen Begriff von Ökonomie entwickelt. Auf diese Weise tritt sie der Welt bloß wie ein Lobbyistenverband unter anderen gegenüber, der sich von Bäderbetrieben und Reiterstaffeln nur unwesentlich unterscheidet. Die Kultur ist ein eigenes System, das immer irgendwie weiterläuft.

In dieser Situation greift das Experiment, das wir heute erleben, auf die alte Tradition des Potlatsch zurück und sprengt damit die gewohnte Rollenzuweisung von Gebern und Empfängern. Der Potlatsch kehrt die Logik der Produktivität und Kapitalakkumulation, auf der vermeintlich alle Ökonomie beruht, um. Der Häuptling eines Stammes vernichtet freiwillig und ostentativ eigenen Besitz. Damit verpflichtet er aber die anderen Häuptlinge dazu, das gleiche zu tun, um ihr Gesicht und ihren gesellschaftlichen Rang zu wahren. Wer als erster opfert, erweist in dieser symbolischen Ökonomie also seine Überlegenheit und Souveränität, die das Gegenüber zur Reaktion zwingt. Die Gaben der Wirtschaft an die Kultur können auch auf diese Weise verstanden werden: Sie fordern von der Kultur die Bereitschaft ein, das Rollenspiel als ganzes nicht in Frage zu stellen. Und nun übernimmt die Kultur zum ersten Mal die Initiative und bringt der Wirtschaft ein Opfer dar, und zwar ausgerechnet jenem Repräsentanten der Wirtschaft, dessen auf weitgehend undurchschaubare Weise mit der Politik verbundenes Scheitern als Begründung dafür herhalten muß, daß die Kultur weniger öffentliches Geld erhält. Damit übernimmt die Kultur stellvertretend die persönliche Haftung für die Veruntreuung öffentlicher Gelder durch Politiker, die selber diese persönliche Haftung nicht übernehmen wollen.

Was mit diesem Vorgang als erstes aufgehoben wird, ist das bequeme Sich-Einrichten in verantwortungsloser Abstraktion, zu dem die Ausdifferenzierung der Subsysteme Kultur, Wirtschaft, Politik führen kann. Das Blut, das die teilnehmenden Künstler spenden, kommt ja keinem Subsystem und dem daran hängenden Apparat an Funktionären zugute, sondern realen Menschen, die es brauchen. Die Aufwandsentschädigung dafür aber, öffentliches Geld, das über ein Subsystem verwaltet wird, wird der Öffentlichkeit über Abgeordnetenhaus und Bankgesellschaft zurückgegeben. Es wird, mit anderen Worten, für einen Moment so getan, als hingen Kultur, Wirtschaft und Politik wirklich zusammen, als arbeiteten Kulturmilieu, Abgeordnete und Bankgesellschaft gemeinsam am Wohl ihrer Stadt Berlin. Da jeder vom anderen weiß, daß er nichts als das Glück des Ganzen will, fängt die Bürgerselbstermächtigung dabei an, der Bankgesellschaft Berlin zu helfen, wo man nur kann.

Unnötig zu sagen, daß dieser Potlatsch der persönlichen Haftung, mit der die Kultur heute in Vorlage geht, ein entsprechendes Opfer auf der Gegenseite erheischt. Es geht nicht um mehr Geld, es geht um Transparenz. Das ist eine politische Aufgabe, an der die symbolische Ökonomie der Kultur aber natürlich ihren Anteil hat. Die Kultur entdeckt ihre ursprüngliche Aufgabe wieder und rettet die Wirtschaft.

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Süddeutsche Zeitung, 28.6.02

Jeder Tropfen zählt

Vorbildlich: Künstler spenden Blut für die Bankgesellschaft

Mit 21,6 Milliarden Euro bürgt Berlin für die zukünftigen Risiken seiner Bankgesellschaft. Woher das Geld im Ernstfall kommen soll, weiß allerdings keiner so richtig. Jetzt gibt es eine erste Idee: Blutspenden. Schließlich wird für jede Konserve eine Aufwandsentschädigung von 20 Euro gezahlt. Wenn alle 3,4 Millionen Berliner ihre kompletten 5 Liter geben würden, kämen für Land und Bank immerhin 750 Millionen Euro zusammen. Den Anfang machten gestern 150 Berliner Kunst- und Kulturschaffende.

Im großen Lichthof des Martin-Gropius-Baus (passenderweise gegenüber dem Abgeordnetenhaus, in dem zur selben Zeit eine weitere Kürzung des Kulturhaushalts verabschiedet wurde) stand ein Kreis aus acht Krankenhausbetten. Daneben wippten Beutel hin und her, die über dünne Schläuche mit Blut gefüllt wurden. Am anderen Ende der Schläuche hingen die Arme der Kulturszene, die sich zur Benefizaktion zusammengefunden hatte. „Schmerzen teilen“, wollen die Künstler, dieses Mal „real-leiblich“ und nicht nur wie bisher finanziell.

„Blutbank“ heißt die Aktion, mit der der Rat der Künste aufgerufen hatte, Blut und Geld für das angeschlagene Finanzinstitut zu geben. „Die immer schlimmer werdenden Sparzwänge werden ja von Politik und Verwaltung damit begründet, dass die Bankgesellschaft fast Pleite gegangen ist,“ erklärt Kurator Detlev Schneider. „Wir haben das mit der Bank einmal wörtlich genommen und eine Veranstaltung gemacht, die zum einen Künstler zusammenführt und dabei ganz real das Defizit der Bankgesellschaft etwas reduziert.“ Eine ganze Reihe von bekannten Kulturschaffenden hatte sich bereits im Vorfeld angemeldet. Schaubühnenchef Jürgen Schitthelm wollte ebenso spenden wie der Intendant des Deutschen Theaters, Bernd Wilms. Bei der Blutbank geht es allerdings nicht mehr um Geld, das es nicht gibt, sondern um eine viel grundsätzlichere Diskussion über Kultur, Politik und Wirtschaft in der Hauptstadt. „Wir fordern nicht Herrn Flierl auf, darum zu kämpfen, dass kein Euro für die Kunstbudgets verloren geht“, sagte Schneider. „Wir wollen ein Nachdenken darüber, was Kunst in dieser Gesellschaft sein kann und sein muss.“ Erst wenn man sich darüber im Klaren sei, könne man überlegen, wie Kunst in der Zukunft finanziert werden kann. Ein Gedanke, der auch den Maler Johannes Heisig überzeugt hat, der als einer der Ersten zur Ader gelassen wurde: „Man ist geneigt so eine Aktion zu belächeln“, sagt er während er mit einem Apfelsaft wieder Kraft tankt. „Aber das ist eine ernste Angelegenheit: Dass man sich artikuliert gegen dieses Primat der Ökonomie.“ Veranstalter und Teilnehmer wünschen sich den offenen und von Einzelinteressen freien Diskurs, den der Rat der Künste bereits zum Amtsantritt des neuen Senats mit einem Forum Kultur anregte. Senator Flierl zeigte damals zunächst reges Interesse, um dann monatelang nichts mehr von sich hören zu lassen. Also werden die Kulturschaffenden wieder aktiv: „Jetzt übernimmt die Kultur die Initiative und bringt der Wirtschaft ein Opfer dar,“ formulierte der FAZ-Feuilletonist Mark Siemons zur Eröffnung der Blutbank. „Die Kultur entdeckt ihre eigentliche Aufgabe wieder und rettet die Wirtschaft.“

Ob die sich retten lassen will, ist noch ungewiss. Die Vorstände der Bankgesellschaft diskutieren, ob sie die Spende annehmen. Dankbarer ist der Leiter der Transfusionsmedizin in der Charité, Holger Kiesewetter: „Wir freuen uns über jeden Tropfen.“

Bastian Schwarz

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